Midway between 2000 und 2010 – T wie Trennung

Doch auch diese Form des Doppellebens währte nicht lange. Nur ein paar Tage später war klar: Sabine war dabei, sich von Salef zu trennen. Das war hart! Ziemlich hart! Sie war voller innerer und äußerer Probleme. Angst vor der Zukunft, Angst um das Glück der Tochter, Trauer um vergangene Zeiten. Aber auch mit viel Konsequenz und mit viel Wut auf ihn.

Nach den unzähligen Streitigkeiten, nach der Trennung des gemeinsamen Bettes vor ein paar Wochen, nach diversen alles anderen als offenen oder konstruktiven Diskussionen um ihre Pflichten, drohte er an, sich ein Flugticket zu kaufen und zu seinen Verwandten nach Amerika zu fliegen. Was er damit bezwecken wollte, war mir nicht klar. Vielleicht einfach nur mal raus aus seinen Problemen.

Ich fand es gut. Sabine wäre ein wenig freier in dieser Zeit. Hätte ein paar Wochen Ruhe. Weniger psychischen Stress. Vielleicht sogar die Möglichkeit, abends länger mit mir zusammen zu sein. Ja, ich war immer schon passionierter Teilegoist. Und naiv auch. Denn mir hätte klar sein müssen, dass ihr Stress noch steigen würde, wenn sie dann zu Hause nur noch die Oma als Unterstützung hätte.

Im Moment dachte ich eher an meine Seite. Denn mit dem Ende der Idee, unsere Beziehung könnte eine lockere Affäre neben unsere Familie bleiben und mit den immer stärkeren Streits zwischen Sabine und Salef, hatte Sabine kürzlich etwas gesagt, was mich komplett unter Druck setzte: „Ich will nicht auf Dauer nur Geliebte sein.“

Der Satz war so unspezifisch wie bedrohlich. Wie lang war „auf Dauer“? Was wollte sie sein? Was würde es für uns bedeuten, wenn sie bei mir dieses Mehr nicht finden würde? Aber neben allen Analysebemühungen war der Kern des Satzes für mich klar: Wenn Salef und sie sich trennen würden, würde auch ich mich trennen müssen, um sie zu halten. Ja, klar. Wollte ich ja auch. War doch schon lange geplant. Mit dem kleinen Problem, dass mein geplanter Trennungszeitpunkt erst in 15 Jahren gewesen wäre, und nicht jetzt! Und auch wenn sie sich bei dem Begriff „auf Dauer“ nicht festlegen wollte, war klar: Sie würde mir vielleicht einige Monate Zeit geben, aber auf keinen Fall ein paar Jahre. Der Satz setzte mich unter Druck. Ich hatte Angst, sie zu verlieren. Mehr Angst, als vor der Trennung von Kirsten und den Kindern. Mir war klar, dass ich das Pseudoleben neben Kirsten sowieso nicht mehr jahrelang aushalten würde. Aber trotzdem: Ich hätte den Zeitpunkt lieber ohne den Druck des Satzes „Ich möchte nicht auf Dauer Geliebte sein“ gefunden.

Im Prinzip war ja auch meine Trennung bereits angelaufen. Nachdem ich ein paar Tage zuvor mal wieder bis 23 Uhr im Büro gewesen und erst um kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen war, empfingen mich wie so oft die ehrlich mitfühlenden, mir aber schon seit Jahren nicht helfende Worte von Kirsten, die bedauerte, wie viel ich doch arbeiten müsse.

Doch inzwischen hatten Sabine und ich einen Plan gefasst, wie ich darauf reagieren würde. Denn der Sommer war vorbei. Wir brauchten dringend eine Alternative zu den Treffen im Wald.

„Ja. “ antwortete ich daher auf Kirstens Mitleid. „Die Situation ist schon manchmal kritisch. Vor allem, wenn ich dann abends so spät noch 120 km Auto fahren muss. Eine Möglichkeit in Frankfurt zu übernachten wäre manchmal schon besser. Entweder ab und zu ein Hotel oder sogar ein eigenes Zimmer.“

Die angeführten Gründe waren nicht offen, zugegeben. Aber falsch waren sie auch nicht. Mir drohten wirklich oft auf der Autobahn abends die Augen zuzufallen.

Kirsten reagierte, wie ich erwartet hatte. Sie fand die Idee gut. Sie fand es gut, wenn es für mich gut wäre. Merkte sie immer noch nichts? Nein. Sprach sie an, dass wir dazu eigentlich kein Geld hätten? Nein. Ich war derjenige, der das finanzielle ansprach. „Ach, das kriegen wir schon hin“ war ihre Standardantwort auch auf dieses finanzielle Problem. Klar! Unser Konto war wie immer im Minus. Aber noch nicht hart am Anschlag des Dispo-Kredits. Noch tiefer im Minus war für sie kein Problem. Für mich war es ein weiteres Problem, das ich unbedingt lösen musste. Ich hatte keine Lust auf Überschuldung. Aber Kirsten hatte wohl keine Angst davor.

Doch bei allen ungelösten finanziellen Problemen: Die Möglichkeit, mir einmal in der Woche in Frankfurt ein Hotel zu nehmen war da. Und ich würde sie nutzen!

Außerdem war heute Kirstens Mitleid ja sogar berechtigt gewesen. Denn heute hatte ich wirklich lange gearbeitet. Zu viele Mails und Dokumente hatten sich angesammelt und ich hatte bis tief in die Nacht im Büro nichts anderes gemacht, als aufgelaufene Arbeiten zu erledigen.

Gestern und vorgestern dagegen war ich zwar lange weg gewesen, nur lange gearbeitet hatte ich da nicht. Vorgestern hatte ich schon um 21:00 den Computer ausgemacht. Ja, wundert euch nicht, Feierabend um neun Uhr abends, war für mich „früh“.

Danach hatte ich dann noch 2 Stunden lang mit Sabine telefoniert, die mit Tochter auf Norderney Urlaub machte und anstatt ihres beleidigten Partners ihre Mutter mitgenommen hatte. Gestern hatte dann das zweite lange Telefonat stattgefunden.

Es waren lange Telefonate zu einer Uhrzeit, zu der bei mir niemand mehr im Büro war und zu der bei ihr die Tochter schon im Bett lag. Lange Telefonate mit einer Nähe und Offenheit, die für mich einfach ein Traum waren.

Seit dem Telefonat vorgestern wusste ich wieder mehr über ihre Gefühle zu Salef, seit vorgestern wusste ich wieder mehr über ihre Gefühle zu mir und sie kannte mehr von meinen Gefühlen zu Kirsten, zu meinen Kindern und zu ihr.

Seit vorgestern wusste ich z.B., dass sie schon einmal abgetrieben hatte. Und ich wusste, dass sie wieder abtreiben würde, wenn sie ungewollt schwanger würde. Zum Beispiel schwanger würde von mir. So schrecklich das für viele Menschen klingen mag, so freudig beruhigend war das für mich. Wir hatten eine weitere Gemeinsamkeit entdeckt. Die Gemeinsamkeit, dass wir Grenzen an vielen Stellen weiter draußen setzten als der durchschnittliche deutsche Bürger. Nicht nur bei Privatthemen wie Sex, sondern auch bei gesellschaftlich geächteten Themen wie Abtreibung als Ersatz für fehlgeschlagenen Verhütung.

Auch umgekehrt ging der Austausch. Sabine wusste jetzt von mir, wie viel Angst ich hatte vor dem Schritt, mir ein Zimmer in Frankfurt zu suchen. Angst, weil ich irgendwie wusste, dass das der entscheidende Schritt auf ein unwiderrufliches Ende des Weges mit Kirsten war.

Beide wussten wir jetzt auch, dass wir uns Sorgen machten, der andere könnte an unsere Ehrlichkeit zweifeln, weil wir diese Ehrlichkeit im Moment mit unserem Partner nicht hatten. Aber was wir jetzt alles voneinander erfuhren, stärkte unser Vertrauen in die Ehrlichkeit des anderen auch wieder.

Und wir stellten wieder fest, dass wir uns lieben. Mehr als jemals gedacht.

Das war das ernsthafte Telefonat Vorgestern gewesen.

Gestern war das Telefonat dann ganz anders. Gestern war Sabine abends allein als ich sie anrief. Und so ging das Telefonat auf einmal ganz andere Wege:

„Hey warte mal, ich lege den Hörer beiseite. Ich will mal das Licht ausmachen und die Jalousie zuziehen.“
„Bist Du allein?“
„Ja, es ist keiner mehr da. Der ganze Flur ist dunkel.“
Ich stand auf, machte das Licht im Flur aus, machte das Licht bei mir im Büro aus, schloss die Jalousie. Dann setzte ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl und griff zum Hörer.
„Hey, weißt Du was?“
„Nein, mein Süßer.“

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