Midway between 2000 und 2010 – Das Jahr im Wechselbad

Das erste Jahr nach der Trennung war ein Wechselbad. Im Nachhinein betrachtet hätte ich die Frage, ob ich glücklich war oder nicht, damals einfach weglassen sollen. Denn diese musste ich allzuoft unterschiedlich beantworten.

Ja, ich war überwiegend glücklich, vor allem in meiner Beziehung zu Sabine. Glücklicher als jemals zuvor in irgendeiner Beziehung. Doch immer wieder war ich auch unglücklich, einsam, zweifelnd. Ich hatte mich zu hart aus allem herausgerissen, worin ich vorher gelebt hatte.

Mir war klar gewesen, dass ich viel aufgeben würde. Mehr als Sabine. Sie tauschte einen Partner gegen den anderen und belastete das Leben ihrer Tochter. Aber sie lebte weiter mit ihrem Kind, in ihrem Haus, in der Nähe ihrer Mutter und all ihrer Bekannten und Verwandten. Ich lebte jetzt weg von den Kindern und verlor alle Bekannten aus der alten Lebenswelt. Nein, ich bereute es nicht, machte auch Sabine kaum Vorwürfe, aber es war schwer. Und irgendwie – ungerecht.

Doch ich musste damit klar kommen. Was soll’s.

Das Leben. Erst ungerecht und dann vorbei.

Sabine und ich sahen uns meist zweimal die Woche und etwa jedes zweite Wochenende. Auch übernachtete ich jetzt öfters bei ihr. Ihre Mutter, die im selben Haus lebte, akzeptiert den neuen Freund ihrer Tochter und fand den Tausch wohl nicht nachteilig. Sabines Tochter sah das anders. Sie hatte den Vater verloren. Schon dadurch war ihr Leben schwer und ich verkörperte ein Problem. Dazu kam, dass ich nicht in der Lage war, mich auf dieses neue Kind einzustellen. Meine eigenen Kinder hatte ich alleine gelassen und jetzt sollte ich mich plötzlich einem anderen Kind zuwenden? Nein, das brachte ich einfach nicht fertig. Erst recht nicht, wenn dieses Kind, egal wie verständlich das war, so gar nicht auf meine bei den eigenen Kindern eingeübten Mechanismen reagierte. Also versuchte ich, Abstand zu halten, doch wir rasselten immer wieder zusammen. Und wenn es mal nicht blitzte, passten wir denkbar schlecht zusammen. Bis heute ist dies so.

Meine eigenen Kinder sah ich jedes zweite Wochenende. Doch meist war es nicht möglich, mit allen gleichzeitig etwas zu machen. Erstens war meine Wohnung zu klein, um vier Kinder darin übernachten zu lassen und zweitens waren ihre Interessen auch zu unterschiedlich, um etwas zu finden, was allen gefiel. Also machte ich meist nur mit zweien oder einem etwas zusammen. Das waren dann allerdings sehr schöne Wochenenden. Auch die Kinder schienen das ganz neue Gefühl zu genießen, den Vater mal für sich alleine zu haben. Am einfachsten war der jüngste. Er hatte eindeutig mehr Vater als vorher und freute sich auf lange Wochenenden mit Spielplatz und Lego-Bauwut. Doch wenn ein solches Kinderwochenende vorbei war, packte mich immer eine große Traurigkeit. Ich war so weit weg von ihnen. Und weil sie und ich die Zeit bewusster nutzten und weil Kirsten nicht bestimmte, was die Familie zu tun hatte, war die Zeit mit ihnen jetzt sogar deutlich schöner als früher. Und danach vermisste ich sie umso mehr.

Kirsten. Ach ja, Kirsten. Sie ließ mich auch nicht so schnell los, wie ich gehofft hatte. Sie schrieb noch diverse Briefe und es gab noch einige Diskussionen. Fruchtlos und im Kreis drehend. Im ersten Jahr und noch in vielen weiteren, verließ mich nie das Gefühl, dass sie immer noch auf eine Rückkehr ins alte Leben hoffte und dass ich ihr etwas Schlimmes angetan hatte. Und dieses Gefühl machte jedes Treffen mit ihr für mich schwer zu ertragen. Aber glücklicherweise hielt sie sich an die Vereinbarung, gegenüber den Kindern den Ex-Partner nicht schlecht zu machen und so funktionierte die Trennung eigentlich ganz gut. Viel besser auf jeden Fall, als es die meisten getrennten Bekannten so aus eigenen Erfahrungen zu berichten wussten.

Sabines Trennung dagegen vollzog sich sehr unangenehm. Ihr Ex entwickelte sich zum echten Stalker. Als er aus den USA zurück kam, aber nicht mehr in die ehemals gemeinsame Wohnung zurück durfte, war er zu einem alten Freund aus dem Studium gezogen und kurz darauf in der Nähe in ein Mini-Appartement. Er kam gar nicht damit klar, dass Sabine sich getrennt hatte. Beim Auszug hatte er wohl Disketten kopiert, darunter auch die mit Sabines Tagebuch. Den Passwortschutz knackte er und konnte dann nachlesen, wie wir zusammen gekommen waren und was wir erlebt hatten. Teilweise bis in intimste Details. Tja, man sollte nicht lesen, was man nicht wissen will. Ihn jedenfalls machte das noch wütender und er wollte jetzt erst recht Sabine schlecht machen.

Nicht nur, dass er laufend anrief und sie beschimpfte. Auch Freunde,Verwandte, ihre Mutter und – am schlimmsten von allem – die 8jährige Tochter – versuchte er zu überzeugen, dass Sabine ein schlechter Mensch war. Er wurde ausfallend und drohend. Sabine zeichnete einige seiner telefonischen Drohungen auf Kassette auf und schaltete die Polizei ein. Genutzt hätte es uns natürlich nichts, wenn er wirklich ausgetickt wäre. Was nützt es dem Opfer, wenn der Täter bekannt ist? Glücklicherweise kam es nicht zu mehr als Worten, aber er machte damit einiges kaputt – vor allem, wer weiß wieviel, bei seiner Tochter.

Besser wurde es erst, als er ein paar Monate später nochmal mit einem Touristenvisum in die USA fuhr mit dem erklären Ziel dort unterzutauchen, illegal zu leben, bis er eine Green-Card bekäme und nie wieder nach Deutschland zu kommen. Danach wurde seine Stalkerei wesentlich leiser. Er fasste Fuß, auch wenn er dort drüben Hilfsjobs machen musste, die er in Deutschland immer abgelehnt hatte, weil er ja für die Deutschen „nicht den Neger machen wollte.“

Ein wenig ein Nachteil war, dass Sabine damit keinen Unterhalt von ihm bekam. Freiwillig zahlte er nicht und ihn dazu zu zwingen hätte bedeutet, dass man ihn aus den USA zurück nach Deutschland geschickt hätte. Da verzichtete Sabine lieber auf das Geld.

Im April nahmen wir zeitgleich eine Woche Urlaub und fuhren mit ihrer Tochter und deren Freundin nach Ulm und nach Rothenburg. Legoland, Funbad und weiteres kindgerechtes Programm boten wir in dem Versuch, ihre Tochter allmählich an den neuen Menschen in ihrem Umfeld heranzuführen. Doch das schlug megamäßig schief. Sabines Tochter war ein einziger fleischgewordener Psychoterror und ihre Freundin unterstütze sie nach Kräften. Entweder war eine am Heulen oder am Blödsinn machen oder am Nerven oder am Jammern oder alles zusammen oder von vorne wieder am Heulen.

Im Sommer starteten wir noch einen weiteren Versuch und fuhren mit ihrer Tochter zusammen zu einem Reitkurs in die Nähe von Berlin. Es war ein wenig besser, aber Sara behandelte mich auch hier abweisend bis feindlich. Ob das noch was werden würde?

Erholung hatte ich nur in den restlichen Urlaubswochen des Jahres, in denen ich alleine in meiner Wohnung saß und von dort aus Fahrradtouren in die Umgebung machte. Ah, was eine Wohltat!

Im Job hatten Sabine und ich auch nach unseren Trennungen weiter versucht, auf „Geheimnis“ zu machen. Weiter siezten wir uns und sorgten dafür, dass uns niemand zusammen sah. Trotzdem kam uns schon kurz nach meiner Trennung von Kirsten meine Chefin auf die Schliche. Die Frau sah sowieso bei allen ihren Mitarbeitern Geheimnisse und Verschwörungen. Vermutungen und Spionage schienen eine Art Ausgleichssport für sie zu sein. Und irgendwas in unserem Verhalten schien sich vielleicht doch geändert zu haben. Als sie mich Mitte März direkt fragte, ob Frau Backhaus und ich etwas miteinander hätten, gab ich zu, vor Weihnachten meine Familie verlassen zu haben und zwischen Weihnachten und Neujahr mit Sabine zusammen gekommen zu sein. Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, wahrte aber den Schein des halbwegs seriösen. Erstaunlicherweise schluckte sie diese Version. Und noch erstaulicher: Sie unterstützte uns. Vielleicht weil sie froh war, mal als erste und einzige zu wissen, was da in ihrer IT-Abteilung lief. Da sie sonst keinen Schimmer von IT hatte, war das schon was, worauf sie stolz sein konnte.

Nur die Tatsache, dass Sabine und ich in einer Abteilung waren und ich der Vorgesetzte ihres Gruppenleiters, gefiel ihr nicht. Sie meinte, es täte uns nicht gut, wenn das raus käme. ‚Und mir auch nicht‘, hörten wir zwischen den Worten. Also versetzte sie Sabine unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand ins Controlling. Schließlich versuchte sie den Controlling-Leiter schon seit Monaten dazu zu bringen, mehr mit dem neuen Business-Warehouse und den Reporting-Tools zu arbeiten und Frau Backhaus als Teilprojektleiterin der SAP Einführung, würde ihm dort bestimmt gut tun. Damit hatte sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, keiner schöpfte Verdacht und uns war es recht.

Danach ließ ich durchsickern, dass ich mich getrennt hatte und nochmal ein paar Wochen später wurde auch unsere neue Beziehung bekannt. Was keiner wusste – auch meine Chefin nicht – war, wie lange vorher wir schon zusammen gewesen waren und dass wir selbst gegenüber dem aufklärerischen Blick von Frau Neugier unser Geheimnis über ein halbes Jahr bewahrt hatten.

Das Ende der Geheimniskrämerrei tat gut. Bereits im Mai fuhren wir gemeinsam auf die Kieler Woche, auf der unser Rechenzentrumsdienstleister einmal ein Jahr ein großes Segelschiff mietete und seine Kunden durch die Kieler Förde schipperte.

Der Rest des Jahres war dann endlich mal recht unspektakulär. Wir sahen uns regelmäßig, hatten viel und guten Sex und spielten unser Wunschspiel weiter.

Die Normalität weitete sich aus durch einkaufen oder shoppen, ich half bei Renovierungsarbeiten oder wir trafen wir uns ganz normal mit Freunden und Verwanden von Sabine. Von diesen schien keiner den Wechsel ihres Partner kritisch zu sehen. Ich fühlte mich willkommen.

Im Winter fand dann zum ersten Mal ein sehr seltsames Ritual statt. Kirsten fragte, ob ich Heiligabend zu ihnen kommen wollte, um gemeinsam zu feiern. Die Kinder würden es sich sehr wünschen. Ich überlegte kurz, redete mit Sabine und sagte zu. Bei Sabine und ihrer Tochter Heiligabend zu feiern, schien sowieso keine gute Idee und ganz alleine in meinem Zimmer zu sitzen, wäre auch nicht das Gelbe vom Ei gewesen. Und so fuhr ich am 24.12. nachmittags zu Kirsten und den Kindern, wir zelebrierten ein paar Stunden das wichtigste jährliche Familienfest und abends fuhr ich wieder zurück. Bis jetzt ist es bei dieser neuen seltsamen Tradition geblieben. Jeder der davon hört, schüttelt verständnislos den Kopf. Ok, komisch finde ich es auch. Nur der Grund ist bei mir ein anderer. Für mich ist es irgendwie einfach strange, Heiligabend in so einer alten Zeitschleife zu feiern. Für die meisten anderen Menschen gibt es dagegen nur eine einzige Frage: Was sagt denn Sabine dazu, dass Du Heiligabend bei deiner Ex bist? Ist die nicht eifersüchtig?

4 Kommentare zu “Midway between 2000 und 2010 – Das Jahr im Wechselbad

  1. Zwei Dinge.

    Eins: Mit zwei Sätzen eine Person zu charakterisieren ist Kunst. Und Dir ist das gelungen: „Vielleicht weil sie froh war, mal als erste und einzige zu wissen, was da in ihrer IT-Abteilung lief. Da sie sonst keinen Schimmer von IT hatte, war das schon was, worauf sie stolz sein konnte.“

    Zwei: Ich kann es nicht erklären, aber Weihnachten ist für die Familie ein zentrales Ereignis. Daher finde ich es von Dir eine richtig große Nummer, es beibehalten zu haben, auch wenn es ’schräg‘ bei manchen ankommt. Ich vermute, deine Kinder danken es Dir.

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  2. Uff…ganz schön packend, dein Text. Toll, dass du nichts beschönigst. Ich kann mich gut hineinfühlen und stelle mir das ganz schwerig vor, wenn einen die Tochter der neuen Partnerin nicht akzeptiert. Und ich kann auch gut verstehen, dass du das mit Weihnachten so handhabst. So schräg finde ich das gar nicht. Und das mit dem eifersüchtig ist ja wohl ein Witz. Irgendwie deprimierend, dass die Menschen, denen dann wirklich nur das einfällt, nicht über die Nasenspitze denken können. Ich weiss nicht, ob ich darüber lachen oder heulen soll.

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  3. Hallo Leander, warum hast Du da Bloggen so sang- und klanglos beendet?
    Ich musste gestern tatsächlich an Deinen letzten Beitrag denken. Heiligabend ohne meine Kinder, die zwar mittlerweile erwachsen sind, ist immer wieder ein schwieriger Tag für mich.
    Ich würde mich freuen wieder von Dir zu lesen.
    Gruß Sky

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    • Hallo Skywalkerlein,
      oh ja das stimmt; das mit dem schwierigen Weihnachten (ist bei mir inzwischen besser, da alle Kinder erwachsen sind, alle studieren, keiner mehr zu Hause lebt) und auch das mit der Tatsache, dass ich seit einem Jahr nichts mehr gebloggt habe.

      Ich hoffe, Du hast Weihnachten ohne unheilbaren Melancholie- und Plätzchenschock überstanden. Im Moment finde ich eher das Wetter am schlimmsten. Aber immerhin! Wenn ich morgens verschlafe und einen Zug später zur Arbeit nehme, ist es auf dem Weg zur Arbeit fast schon hell! Immer positiv bleiben.

      Ich habe aufgehört zu bloggen aus zwei Gründen.
      1. Ich hatte einfach keine Zeit und vor allem keine Gelegenheit mehr, einen Beitrag pro Woche zu schreiben. Also fing ich an, Stories vorzuschreiben und wollte dann möglichst bald, eine nach der anderen wieder im Wochenrhythmus veröffentlichen.
      2. Ich stellte dann aber zunhemend fest, dass mir fehlt für den zweiten Teil meiner Story bislang einfach das Konzept fehlt. Als ich 2014 den ersten Blogbeitrag hier veröffentlichte, hatte ich ich bereits seit 2003 über das Konzept meiner schwierigen Beziehungsphase nachgedacht und die Storyline von Anne bis Regina war klar. Für das Leben mit Sabine und die gut funktionierende offene Beziehung fehlt mir aber immer noch die Storyline. Alles was sich schrieb kam mir komisch vor, zu detailliert, zu chaotisch.

      Und daher habe ich Anfang vorigen Jahres begonnen, erst mal nachzudenken, Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren mit Sabine zu lesen und Stories vorzuschreiben.

      Sobald wieder ein guter, konsistenter Vorrat zusammen ist, geht es hier weiter.
      Kann aber noch ein paar Monate dauern.

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